Welche Werbeversprechen werden gemacht?
Abgesehen davon, dass nicht explizit zugelassene gesundheitsbezogene Werbeaussagen in der EU für Nahrungsergänzungsmittel sowieso verboten sind, sind auch alle irreführenden Aussagen untersagt. Für Lebensmittel heißt das, es ist verboten, einem Lebensmittel Wirkungen oder Eigenschaften zuzuschreiben, die es nicht besitzt. Entsprechende Aussagen sind nur erlaubt, wenn sie nach aktuellem wissenschaftlichen Stand als nachgewiesen gelten.
Die Tricks der Bauernfänger
Dies sind, so die Lebensmittelüberwachung, typische Tricks, um das Verbot der gesundheitsbezogenen Werbung zu umgehen:
- Begriffe in sogenannten "Snippets", die dann bei Suchmaschinen-Abfragen erscheinen ("Corona Protect", "Corona-Schutz"),
- bei der Eingabe von Stichworten wie "Corona" oder "Covid 19" in die Suchfunktion des Webshops werden bestimmte Produkte selektiert,
- mittels einer sog. "Registernavigation" wird eine ausgewählte Palette von NEM zusammengefasst (Registerüberschrift z. B. "Immunbooster – stark gegen Viren"),
- durch "geschickte" Verlinkung von Seiten mit allgemeinen Informationen zum neuartigen Corona-Virus und dem Angebot von NEM,
- durch Verlinkung im Webshop auf einen eigenen Blog oder Blogs von "Ernährungsexperten", die Beiträge über die "antivirale Wirkung" der vorhandenen Inhaltstoffe enthalten,
- durch Verlinkung auf wissenschaftliche Studien, deren Titel eine antivirale Wirkung des NEM nahelegen; Inhalt und Ergebnis der Studien bleiben unklar und sind für den Verbraucher nicht überprüfbar,
- durch direkte Aussagen wie "Corona-Virus in aller Munde – X wehrt Viren ab", "Corona-Protect-Kapseln", "Schutz vor dem Corona-Virus/Stärken Sie ihr Immunsystem mit Y", "Corona-Beratungs-Flyer" usw.,
- Abbildungen von Schwert und Schild in Abwehrstellung gegen stilisiert dargestellte Corona-Viren oder bildhafte Darstellungen des neuartigen Corona-Virus im Hintergrund von NEMs.
Auch wenn uns dieses Virus mit seinen Varianten jetzt schon fast fünf Jahre begleitet, gibt es doch trotz vieler Bemühungen keine echten wissenschaftlich fundierten Interventionsstudien (Goldstandard) an Menschen, die einen Schutz von bestimmten Pflanzen, Vitaminen oder Mineralstoffen vor einer Infektion durch das Virus zeigen. Einige Studien, z.B. zu Vitamin D in der Zeitschrift "Nature", sind inzwischen sogar zurückgezogen worden. Bei anderen durchaus hochwertigen Studien, geht es darum, Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf zu ermitteln. Ein Umkehrschluss ist aber wissenschaftlich nicht korrekt.
Ansonsten beziehen sich zitierte Studien entweder auf andere (Corona-)Viren oder es sind reine Laborstudien oder es handelt sich um theoretische Abhandlungen möglicher Wirkmechanismen. So wird beispielsweise anhand biochemischer Abläufe versucht, darzulegen, wie Vitamin C oder ein sekundärer Pflanzenstoff gegen das Virus oder dessen Folgeerscheinungen wirksam werden könnten. Das ist natürlich kein Beweis und sollte auch nicht dazu verleiten, das gleich einmal auszuprobieren. Aber es ist für andere Wissenschaftler:innen eine Hilfe, die darauf basierend Interventionsstudien konzipieren können. Und es geht dabei immer um den Schutz vor der Erkrankung oder um die Therapie von COVID-19. Beides ist nicht Aufgabe von Nahrungsergänzungsmitteln, sondern von Arzneimitteln, die natürlich auch Vitamine oder Pflanzenextrakte enthalten können. Im Unterschied zu Nahrungsergänzungsmitteln ist dann aber die Wirkung bewiesen und von Behörden geprüft worden. Und es wurde eine Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen.
Schutz durch Abwehr oder Desinfektion?
Werbeaussagen wie "Es gibt bestimmte Pflanzen, Getränke und Vitamine, die du zu dir nehmen kannst, um jeden viralen und bakteriellen Eindringling abzuwehren, einschließlich des neuartigen Coronavirus", "schützt vor Viren" oder auch nur "wehrt Viren ab" suggerieren eine falsche Sicherheit und sind in Bezug auf das aktuelle Corona-Virus wissenschaftlich nicht bewiesen. Als Wirkstoffe werden häufig bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe wie Polyphenole, Flavonoide, Anthocyane oder Senföle genannt. Wichtig zu wissen: Extrakte sind bei Nahrungsergänzungsmitteln (im Gegensatz zu Arzneimitteln) nicht definiert, kein Extrakt gleicht dem anderen und vermutlich keiner davon dem in zitierten Studien verwendeten Wirkstoff.
Leider findet man solche und ähnliche Anti-Corona-Aussagen für Lebensmittel/Nahrungsergänzungsmittel trotzdem immer noch - im Internet, in manchem "Gesundheits"-Haus und vielleicht auch von einigen selbstständigen Firmenvertreter:innen ("Ernährungsberater:innen"). Beworben werden damit vor allem Nahrungsergänzungsmittel mit ganz unterschiedlichen Pflanzenextrakten, wie beispielsweise Grüntee (bzw. dem Inhaltsstoff Epigallocatechinagallat EGCG), Rhodiola (Rosenwurz), Ginseng, Aloe vera, Chili, Meerrettich, Artemisia/Artemisin (verboten, da neuartig), Zistrose, Propolis, Holunder, Kapuzinerkresse oder Schwarzer Johannisbeere (Blattknospen). Schutzwirkungen werden auch für Produkte mit Ingwer, Kurkuma, Zimt oder Apfelessig suggeriert.
Das heißt nicht, dass diese Inhaltsstoffe oder alle Anbieter solcher Produkte unseriös wären. Es gibt gut erforschte, apothekenpflichtige Arzneimittel z. B. aus Rosenwurz, Zistrose oder Chili, die sicher und mit zugelassenen Indikationen versehen sind. Unrechtmäßig ist es, wenn Anbieter Nahrungsergänzungsmittel mit "Schutz vor Viren" oder "hilft gegen Corona" bewerben. Solche Fälle wurden immer wieder von den Verbraucherzentralen oder dem Portal Lebensmittelklarheit abgemahnt, mehrere Klagen vor Gerichten durchgesetzt. Besonders dreist war dieser Fall von unseriöser Werbung zu einer angeblichen Covid-19-Heilung, der vom Portal Lebensmittelklarheit.de abgemahnt wurde.
Immer wieder wird auch behauptet, dass das gefährliche MMS (Miracle Mineral Supplement), auch CDL (Chlordioxidlösung) genannt, vor dem Coronavirus schützen kann. Das ist ein Desinfektionsmittel z.B. für Swimming Pools und dient zum Bleichen von Textilien! Nicht einnehmen, gefährlich! Davon abgesehen nützt es nichts gegen das COVID-19-Virus.
Problematische Werbung in sozialen Medien
Weiterhin gibt es angstmachende Posts oder Reels in den sozialen Medien, vor allem bei Instagram oder Tiktok, manches auch durch Influencer:innen. Auch geschlossene Gruppen bei Facebook oder via WhatsApp fallen immer mal wieder auf, weil dort gezielt Nahrungsergänzungsmittel als (dauerhafter) Schutz vor einer Corona-Infektion angepriesen werden. Selbsternannte Heilsbringer:innen, darunter auch Mediziner:innen, finden sich in zahlreichen Youtube-Videos. Dabei wurden und werden auch Aussagen von Virolog:innen, des Robert Koch-Instituts oder der WHO zitiert, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen sind. Das gilt übrigens genauso mit Blick auf Produkte gegen Long-Covid.
Und bei sehr vielen steckt dahinter ein finanzielles Interesse, auch wenn sie sich anders präsentieren und "doch nur helfen wollen". Solche Infos sollte man immer hinterfragen. Nicht vergessen: Evidenz schlägt Eminenz!
Schutz durch Stärkung des Immunsystems?
Grundsätzlich können die Abwehrkräfte durch eine ausgewogene Ernährung, kombiniert mit Lachen, ausreichend Schlaf und Bewegung, gestärkt werden. Für viele Pflanzenstoffe und Mikronährstoffe gibt es Hinweise darauf, dass sie Einfluss auf das Immunsystem haben. Aber Achtung: Nicht immer ist es sinnvoll das Immunsystem durch Produkte zusätzlich zu stimulieren. Wer an Allergien leidet und Autoimmunerkrankte können ein Lied davon singen, was es heißt, ein hyperaktives Immunsystem zu haben.
Vitamine: So tragen zum Beispiel Vitamin D, Vitamin C, aber auch Folat, B12, B6 und Vitamin A wissenschaftlich bewiesen zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei. Dafür ist eine ausreichende bis gute Versorgungslage nötig. Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel, die bestimmte Mengen dieser Vitamine enthalten, dürfen mit genau dieser Aussage auch werben. Das heißt aber nicht, dass Sie dafür besonders große Mengen oder gar hoch dosierte Supplemente zu sich nehmen müssten. Nach Untersuchungen aus den USA ist eine Hochdosistherapie mit Vitamin C und Zink bei Corona wirkungslos, hatte aber heftige Nebenwirkungen.
Vitamin D: Empfehlungen wie "jetzt 5.000 I.E. Vitamin D täglich" (= 125 µg) sind gefährlich, ist das doch mehr als die absolute Obergrenze für eine sichere Zufuhr (Upper Intake Level). Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfiehlt nicht mehr als 20 µg (= 800 i.E.) Vitamin D pro Tag. Laut Fachgesellschaften gibt es keine Empfehlung für eine Vitamin D-Supplementation, um einer SARS-CoV-2-Infektion vorzubeugen oder den Schweregrad einer COVID-19-Erkrankung zu verringern. Bei einer ausreichenden Vitamin-D-Versorgungslage, so das Bundesinstitut für Risikobewertung, schützt zusätzliches Vitamin D nicht vor einer Corona-Infektion. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass ein unzureichender Vitamin-D-Serumspiegel mit einem erhöhten Risiko für akute Atemwegserkrankungen (incl. Covid-19) einhergeht. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass ein schwerer Vitamin-D-Mangel bei Corona-Patienten, die ins Krankenhaus müssen, das Risiko für die Aufnahme auf die Intensivstation steigert. Wenn Sie sich unsicher sind, können Sie Ihren Vitamin-D-Spiegel (in der Regel auf eigene Kosten) in Ihrer Hausarztpraxis bestimmen lassen. Eine gute Übersicht zur Studienlage bietet ein Cochrane-Review. Eine gute Vitamin-D-Versorgung wird am besten durch die Eigensynthese der Haut (mit Hilfe von Sonnenlicht) und zu einem kleinen Teil über die Ernährung erreicht. Nur wenn das nicht ausreichend ist (z.B. für bestimmte Risikogruppen), sollten Supplemente (20 µg/Tag = 800 I.E.) genommen werden.
Mineralstoffe: Auch bestimmte Mineralstoffe wie Selen, Zink, Eisen und Kupfer sind wichtig für ein normales Immunsystem. Das funktioniert aber nur, wenn vorher ein Defizit bestanden hat. Ein Zuviel an Mineralstoffprodukten bringt die feinen Regelkreisläufe im Körper durcheinander.
Vitalpilze: Als Immunsystem stärkend gelten auch Vitalpilze wie Cordyceps. Da die Studien mit bestimmten Pilzzubereitungen durchgeführt wurden, lässt sich eine Wirkaussage für einzelne Nahrungsergänzungsmittel daraus nicht ableiten. Eine derartige Aussage wurde vom Landgericht Gießen (06.04.2020 - 8 O 16/20) untersagt.
Der Klassiker: Colostrum, also Biestmilch (Erstmilch) der Kühe, wird seit je her als immunstärkend angepriesen. Laut aktuellen Werbeanzeigen soll Kolostrum Schutz vor viralen und bakteriellen Infekten bieten. Dabei gibt es für einen Effekt auf Corona-Viren nicht einmal Tierstudien. Hinzu kommt, dass die Wirksamkeit von oral aufgenommenem Colostrum auf Atemwegsinfekte (einschließlich COVID-19) nicht plausibel ist. Die enthaltenen Antikörper werden im Darm gar nicht aufgenommen und können auch nicht in die Lunge gelangen.
Wenn Sie Nahrungsergänzungsmittel nehmen wollen, kommt es darauf, diese richtig zu verwenden. Vergessen Sie nicht, Ihre Ärzt:innen über die Einnahme zu informieren. Wenn Sie gleichzeitig Medikamente nehmen, ist es wichtig, mögliche Wechselwirkungen zu berücksichtigen.